11. Sitzung am 24. Oktober 2022

Am 24.10.2022 hat der NSU-UA-II im Bayerischen Landtag ganztägig getagt und dabei die inhaltliche Beweisaufnahme zum so genannten „Taschenlampenanschlag“ vom Juni 1999 in Nürnberg fortgesetzt. Nachdem im nicht-öffentlichen Teil zunächst weitere Zeugenladungen zu den nächsten Untersuchungsthemen ‚NSU-Brief‘ und ‚Bekenner-DVD des NSU‘ sowie die Beiziehung von Akten beim GBA beschlossen wurden, begannen die Zeugenvernehmungen.

Wichtigster Zeuge dieser Sitzung war der Geschädigte Mehmet O., der beim Taschenlampenattentat des NSU durch eine Rohrbombe verletzt wurde. O. erlitt durch die Explosion Verletzungen am ganzen Körper und hatte starke Einschränkungen beim Hören. Er wollte sich damals in Nürnberg mit der Übernahme der Pilsbar „Sonnenschein“ einen Lebenstraum verwirklichen, welcher aber durch den Anschlag jäh zerstört wurde. Mehmet O. schilderte eindrücklich, wie der Anschlag sein Leben nachdrücklich negativ verändert hat. Er hatte Angstzustände und sagte in diesem Zusammenhang „Ich habe jahrelang unter Depressionen gelitten.“ Dabei betonte er: „Meine Psyche kann mir Niemand mehr zurückgeben. Meine Jugend kann man mir nicht mehr zurückgeben.

Am Tag vor dem Anschlag waren Angehörige und Bekannte in der Bar, um gemeinsam die Eröffnung zu feiern. Mehmet O. geht davon aus, dass die als Taschenlampe getarnte Rohrbombe während dieser Eröffnungsfeier vom NSU im Toilettenbereich deponiert wurde. Er ist überzeugt: „Wenn mein Fall richtig ermittelt worden wäre, hätten die Morde des NSU vielleicht verhindert werden können.“ In den ersten Ermittlungen durch die bayerische Polizei sei er vor allem als Beschuldigter vernommen worden, wobei ihm auch ein möglicher Versicherungsbetrug oder Drogengeschäfte unterstellt worden seien.

Allerdings machte Mehmet O. in den alten Vernehmungen durch die Polizei und in seiner Zeugenaussage vor dem Untersuchungsausschuss teilweise widersprüchliche Angaben zum Ablauf des Vorabends der Tat. Außerdem wurde er laut dem von ihm unterschriebenen Protokoll, durch das BKA vor seiner Vernehmung über die Hintergründe des neu eingeleiteten Verfahrens gegen Beate Zschäpe wegen versuchten Mordes und Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion informiert. Im Ausschuss hatte O. darauf bestanden, erst durch einen Journalisten von der Täterschaft des NSU erfahren zu haben. Hier gab es offenbar grundlegende Verständnis- oder Kommunikationsprobleme.

Mehmet O. hätte sich auf jeden Fall eine umfassendere Information zu den genauen Hintergründen des Anschlags von den ermittelnden Sicherheitsbehörden gewünscht. Ihm sei zum Beispiel nicht klar geworden, dass es um den Anschlag gegen seine Person ging. Auch die Identität der von ihm bei der Lichtbildvorlage identifizierten Person sei ihm nicht mitgeteilt worden. Mehmet O. ist sich sicher, dass er die Zschäpe-Freundin Susann E. vor dem Anschlag in Nürnberg gesehen hat.

Er hatte weder einen Rechtsbeistand noch die Begleitung durch eine professionelle Beratungsstelle. Eine dem Schaden angemessene Entschädigung durch das Land Bayern wurde ihm nie zu Teil. Im NSU-Prozess vor dem OLG-München wäre er außerdem gerne als Nebenkläger aufgetreten, was ihm aber aus prozessökonomischen Gründen verwehrt wurde.

Weitere Zeugen des 11. Sitzungstags waren die BKA-Beamten, EKHK M. und KHK G., die über die neuen Ermittlungen im Jahr 2013 befragt wurden. Diese fanden statt, nachdem der Anschlag auf die Gaststätte ‚Sonnenschein‘ durch eine Aussage des Angeklagten im Münchener NSU-Prozess, Carsten Schultze, im Juni 2013 dem NSU-Komplex zugeordnet werden konnte. EKHK M. teilte dem Ausschuss mit, dass er beim Taschenlampenattentat insgesamt vier Zeugen vernommen hat. Diese waren der Geschädigte Mehmet O., seine Mutter, der damalige Pächter Riza B. und die Konzessionsinhaberin Daniela O. Er bestätigte, dass Mehmet O. bei einer Lichtbildvorlage Susann E., die Ehefrau des im NSU-Prozess angeklagten Andre E., erkannt hat. Diese gilt als beste Freundin von Beate Zschäpe und ist zum engsten Unterstützerkreis des NSU zu zählen. Mehmet O. hatte Susann E. vor dem Anschlag in Nürnberg gesehen, konnte aber nicht genau angeben, wo und zu welchem Anlass er sie getroffen hat. Die Aussage von O. führte jedoch weder zu neuen Ermittlungen noch zu einer erneuten Vernehmung von Susann E. Ferner gab EKHK M. an, dass er den Geschädigten auf die vermutete Täterschaft des NSU und den rechtsterroristischen Hintergrund der Tat hingewiesen hat.

Der Zeuge KHK G. berichtete dem Ausschuss über die vom BKA 2013 durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen. Im Gegensatz zu den alten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Nürnberg bewertete der Generalbundesanwalt den Anschlag als ‚versuchten Mord‘. Zu den Ermittlungsergebnissen teilte er mit, dass durch die BAO Trio Bezugspunkte des NSU nach Nürnberg im zeitlichen Zusammenhang mit der Tat untersucht wurden. Dabei zeigte sich, dass es keine bekannten Fahrzeuganmietungen und Aufenthalte des NSU im Zeitraum des Taschenlampenanschlags gab. Außerdem fand sich keine Markierung der Tatortadresse in der sogenannten 10.000er Liste oder auf der Festplatte des verurteilten NSU-Unterstützers Andre E., wo auch Kartenmaterial aus Nürnberg gefunden worden war. Zudem gab auch der befragte Mitangeklagte des NSU, Carsten S., an, dass er keine Kontaktpersonen des NSU in Nürnberg benennen konnte.

KHK G. teilte dem Ausschuss außerdem mit, dass auch der Thüringer Rechtsextremist Dieter Jens H. im Zuge der Ermittlungen 2013 vernommen wurde. Dieser stammt aus Gera und war auf der sogenannten „Garagenliste“ von Uwe Mundlos verzeichnet, die bei der Durchsuchung einer Garage gefunden worden war, die der NSU für den Bombenbau genutzt hatte. H. war von November 1999 bis Mai 2000 im Nachbarhaus der Gaststätte Sonnenschein gemeldet und hat dort zumindest von Mitte November bis Mitte Dezember auch gewohnt. Er behauptete in seiner Vernehmung laut KHG G., das NSU-Trio nicht persönlich gekannt zu haben und sich nicht mehr daran zu erinnern, wie seine handschriftliche Eintragung auf die Garagenliste gelandet ist. H. war als Sänger der Neonaziband ‚Legion Ost‘ in den 90er Jahren eine wichtige Figur in der militanten Skinheadszene Thüringens. Zu evtl. Vormietern aus der rechtsextremen Szene der Wohnung von Dieter Jens H. wurde allerdings nicht ermittelt.

Zu den technischen Details teilte der Zeuge mit, dass die beim Taschenlampenattentat gefundene Rohrbombe Ähnlichkeiten mit zwei Rohrbomben aufweist, die in der Bombenbauwerkstatt des NSU sichergestellt wurden, wobei er betonte, dass nur beim Taschenlampenattentat Schwarzpulver als Sprengmittel eingesetzt wurde.

Dem Zeugen wurde ein Schreiben des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz vorlegt, in welchem dieses auf Nürnberger Rechtsextremisten hingewiesen hat, welche zum Tatzeitpunkt in der Nähe des Tatorts gewohnt haben. Darunter befand sich auch ein führender Kopf der Nürnberger Kameradschaftsszene. Das unter anderem an das LKA adressierte Schreiben, welches neue Ermittlungsansätze eröffnet hätte, ist allerdings nie beim BKA eingegangen. Auch deshalb sind Ermittlungen gegen mögliche Unterstützer des NSU aus der Nürnberger Neonaziszene versäumt worden.

Der nächste Zeuge Guido Limmer, war zum Zeitpunkt des Anschlags Leiter der kriminaltechnischen Abteilung des LKA Bayern und ist mittlerweile Vize-Präsident der Sicherheitsbehörde. Er sagte umfangreich zur kriminaltechnischen Untersuchung der verwendeten Rohrbombe aus, bei der die Zusammensetzung des Sprengstoffs und mögliche Fingerabdrücke untersucht wurden. In Bezug auf mögliche DNA-Spuren betonte Limmer, dass erst 1998/1999 im LKA mit DNA-Untersuchungen begonnen wurde und das zum damaligen Zeitpunkt die DNA-Analyse noch in den Kinderschuhen steckte. Zudem sei das LKA nicht mit einer DNA-Analyse beauftragt worden. Auch Fingerabdrücke fanden sich auf der Bombe nicht und das verwendete Schwarzpulver aus Pyrotechnik lieferte ebenfalls keinen weiteren Ermittlungsansatz. Wäre allerdings bereits damals ein rechtsextremer Hintergrund der Tat vermutet worden, hätte vermutlich eine bundesweite Abfrage nach rechtsextremen Bombenbauern stattgefunden. Bei einer solchen Abfrage hätten die Ermittlungsbehörden eigentlich auf das ein Jahr vorher untergetauchte NSU-Trio aufmerksam werden müssen. Hätten die Ermittlungen bereits 1999 wegen ‚versuchten Mordes‘ und nicht wegen ‚fahrlässiger Körperverletzung‘ stattgefunden, wären zudem die Asservate nicht vernichtet und die Rohrbombe nicht als Schaustück zu Ausbildungszwecken verwandt worden, wodurch sie für die erneuten Ermittlungen durch das BKA unbrauchbar geworden ist.

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