18. Sitzung am 26.01.2023

In der 18. Sitzung des NSU – Untersuchungsausschusses, wurden zwei „Erste Kriminalhauptkommissare“ des Bundeskriminalamts befragt. Die Mitglieder des NSU-UA wollten von beiden wissen, wie die Ermittlungen des BKA zu den Tatortausspähungen und dem Unterstützer*innen-Netzwerk geführt wurden. Beide BKA-Beamte sind seit zehn Jahren an den Ermittlungen beteiligt und haben als Verfahrensführung im BKA eine führende Rolle gehabt, die Erkenntnisse und Hinweise der verschiedenen Landesbehörden zusammenzuführen.

Die Ermittler gaben zu Protokoll, dass die sogenannte „zehntausender Liste“ einen falschen Eindruck erwecke und man an 10.000 mögliche Anschlagorte denke. Es handle sich vielmehr um Datensätze, die anhand von Suchbegriffen wie unter anderem „Türke“, „Türkisch“, „Muslimisch“, „MdB“ oder „MdL“, die in einer Datenbank gespeichert worden seien und im Anschluss erneut auf „Feinde“ gefiltert worden sind. Die gefilterten Adressen wurden den Beamten zu Folge anschließend ausgespäht, wobei man sich beispielsweise 17 Adressen herausgesucht habe und diese dann abgefahren sei. Hierbei handelte es sich aber in keinem der Fälle um wirkliche Anschlagsziele, sondern um Adressen von Interesse für das NSU-Kerntrio.

Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses erhielten hierzu eine visuelle Präsentation, um einen Einblick in die Arbeit und Grundlage der Ermittlungsergebnisse zu erhalten. Die Morde an Theodoros Boulgarides vom 15. Juni 2005 in München und İsmail Yaşar vom 09. Juni 2005 in Nürnberg wurden hierbei bezüglich des Aspekts der Ausspähung beider Tatorte beleuchtet.

Nach Aussagen der BKA Beamten habe es in beiden Fällen eine Ausspähung von anderen Adressen gegeben, welche die Neo-Nazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt abgefahren seien. Nachdem sie die gefilterten Adressen ausgespäht hätten, wären sie auf die Geschäfte von Boulgarides und Yaşar gestoßen und hätten sich spontan zu einer Ermordung beider entschlossen. Den Zeitablauf beschrieben beide so: Vom 24. Bis zum 26.Mai 2005 mieteten sie einen Skoda Octavia, um Nürnberg auszuspähen. Am 08. Juni mieteten sie dann erneut einen Skoda Octavia an, um am 09. Juni 2005 İsmail Yaşar zu ermorden.

Das keines der eigentlichen Ausspähungsorte dann auch Tatorte wurden, konnten sich die BKA-Beamten nicht erklären. Sie äußerten vielmehr die These, dass die beiden Uwes aus Impuls gehandelt hätten und für sie das Feindbild des Türken im Mittelpunkt stand. Auf die Frage des Ausschussvorsitzenden Toni Schuberl wie solch eine Impulshandlung bei einem untergetauchten Neo-Nazi Trio zu erklären sei, verwiesen die Beamten auf den Versuch einer Signalwirkung an die Neo-Nazi Szene. Das zu dieser Zeit in den Medien, Politik und vor allem bei ermittelnden Behörden noch von „Döner-Morden“ die Rede war und damit keine Signalwirkung an die Neo-Nazi Szene hätte ausgehen können, spricht jedoch gegen diese These.

Gleichzeitig äußerten die beiden Ermittler, dass das NSU- Kerntrio allein gehandelt habe und nicht über ein Unterstützer*innen-Netzwerk verfügte. Wie die Signalwirkung dann in die Neo-Nazi Szene hätte wirken sollen, wurde nicht erörtert. Ebenso wenig die Frage des Ausschussmitglieds Cemal Bozoğlu bezüglich der äußerst fragwürdigen Zufälle, dass sich in der Nähe vieler Tatorte szenebekannte Neo-Nazis trafen oder gar wohnten.

Im Hinblick auf die BKA-Ermittlungen ist zwar durchaus deutlich geworden, dass die beiden Zeugen sowie weitere Kriminalbeamte der BAO-Trio mit viel Einsatz und Fleiß die Ermittlungen geführt haben, aber dennoch blieben viele Fragen offen. Diese konnten mit der Einschätzung der alleinhandelnden drei Untergetauchten nicht wirklich beantwortet werden. Vielmehr ordnen Toni Schuberl und Cemal Bozoğlu die Einschätzung des BKA hierzu als Unterschätzung der Neo-Nazi-Netzwerke bezüglich ihrer Fähigkeit klandestin handeln zu können. „Die Garagenliste hat eindeutig gezeigt, dass das NSU-Kerntrio auch anderen Menschen vertraut hat und auf ein Helfer*innen-Netzwerk von engen Vertrauten bauen konnte. Innerhalb von Neo-Nazi-Strukturen wäre es über dies auf jeden Fall möglich Ausspähungen durchführen zu lassen, ohne einen direkten Kontakt oder das Wissen um das NSU-Kerntrio haben zu müssen. Was die BKA Beamten präsentierten ist eine Theorie, die viele Lücken aufweist.“ so Cemal Bozoğlu nach der Ausschusssitzung.

Darüber hinaus bleibt mit dieser These ungeklärt, wie die Zeitabläufe zwischen den Morden ohne Unterstützer*innen hätte funktionieren sollen. So wurde Enver Şimşek am 13. Juni 2001 in Nürnberg umgebracht, zwei Wochen später, also am 27. Juni 2001 Süleyman Taşköprü in Hamburg und einen Monat später am 29. August 2001 Habil Kılıç in München. Zwischen den beiden Ermordungen von İsmail Yaşar und Theodoros Boulgarides sind es sechs Tage. Noch unwahrscheinlicher wird diese These, wenn man die zwei Tage Abstand zwischen den Morden an Mehmet Kubaşık, vom 04. April 2006 in Dortmund und Halit Yozgat vom 06. April 2006 in Kassel in Betracht zieht. Ohne eines Unterstützer*innen Netzwerks wären solche kurzen Abstände zwischen den Morden in geographisch unterschiedlichen Orten nicht möglich gewesen, so die Einschätzung der beiden Grünen Ausschussmitglieder.

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