25. Sitzung am 20. März

In der 25. Sitzung des zweiten NSU – Untersuchungsausschusses des Bayerischen Landtags wurden – in insgesamt fast elfstündiger Sitzung – sieben Zeugen vernommen. Drei (ehemalige) Mitarbeiter*innen der Nürnberger Nachrichten wurden insbesondere zu der Frage vernommen, wie die Bekenner-DVD der Rechtsterroristen an die Zeitung gelangte.

„Nach aktuellem Wissensstand müssen wir nun also davon ausgehen, dass die Bekenner-DVD in Nürnberg nicht per Post eingeschickt, sondern händisch eingeworfen wurde. Auch dass bei A. E. im Computer wiederhergestellte Kartenmaterial ist sehr brisant und führt zu neuen Spuren,“ fasste Cemal Bozoglu die Ergebnisse der 25. Sitzung des Ausschusses zusammen.

In den Angaben zweier leitender Ermittler des BKA vor dem Ausschuss noch im Januar dieses Jahres wurde es als sehr wahrscheinlich dargestellt, dass die Bekenner-DVD – wie gesichert an die meisten anderen Empfänger – per Post an die Nürnberger Nachrichten gelangte. Die Beamten gaben an, dass sich daraus also kein Hinweis auf Unterstützende in Nürnberg ableiten ließe.

Insbesondere die beiden ersten Zeugen schilderten detailreich und gut begründet, dass keine Briefmarke auf dem Umschlag angebracht war, der die Bekenner-DVD enthielt. Der dritte Zeuge hatte Dienst in der Nähe des Briefkastens, als er hörte, wie mit lautem Schlagen der Klappe ein Umschlag in den Offerten-Briefkasten eingeworfen wurde, der für reguläre Postsendungen gar nicht verwendet wurde. Zudem sah er einen Fahrradfahrer schnell rechts in Richtung Innenstadt wegfahren. Diesem ordnet der Zeuge den Einwurf zu, da sonst keine Person zu sehen war. Der Radfahrer trug zivile Kleidung. Eine genauere Beschreibung war dem Zeugen leider nicht möglich.

Überrascht waren die Ausschussmitglieder als der zweite Zeuge, ein ehemaliger Politikredakteur der Nürnberger Nachrichten, berichtete, er sei nur zwei Wochen vor seiner heutigen Vernehmung intensiv von einem Beamten des BKA zu eben demselben Beweisthema vernommen worden. Der vernehmende BKA Beamte L. war einer der Beamten, die im Januar bereits vor dem Ausschuss zu den Vorgängen um die Bekenner-DVD bei den Nürnberger Nachrichten ausgesagt hatten.

In der weiteren Beweisaufnahme des Untersuchungsausschusses wurden Polizeibeamte einvernommen, die in verschiedenen Funktionen an den Ermittlungen zur Aufklärung der Terrorserie mitgewirkt haben.

Ein vernommener Polizeibeamte berichtete, wie er als erfahrener Mordermittler zur Mitwirkung an der Erstellung einer „Operativen Fallanalyse“ (OFA) von Nürnberg nach München entsandt wurde. Die entstandene OFA sei nach heutiger Einschätzung des Zeugen den tatsächlichen Tätern sehr nahegekommen.

Bei der von dem Zeugen beschrieben OFA handelt es sich um die zweite erstellte OFA des Gutachters Alexander Horn aus dem Jahre 2006. Dieser hatte ein Jahr zuvor noch die These vertreten, organisierte Kriminalität sei wahrscheinlich für die Mordtaten verantwortlich. Nach einem Abgleich mit den nachfolgenden Taten und ausbleibenden Ermittlungserfolgen überdachte Horn sein zuvor gefundenes Ergebnis auch mit Unterstützung des Zeugen noch einmal und positionierte sich mit seiner zweiten OFA neu. Horn kam nun zu dem Schluss, es musste sich um einen „intrinsisch motivierten Serientäter“ handelt, der die Nähe zur rechten Szene gesucht habe, jedoch von deren Schwäche enttäuscht sei.

Offenbar kam diese neue Einschätzung nicht allen Beamten der BOA-Bosporus gelegen. Schon im Spätsommer 2006 wurde ein weiterer Auftrag zur Erstellung einer OFA an ein Team aus Baden-Württemberg vergeben. Diese stützte im Ergebnis erneut die alte Ermittlungshypothese, der Täter sei in dem Bereich der organisierten Kriminalität „mit strengem Ehrenkodex“ zu suchen.

Die Vernehmung eines weiteren Polizeibeamten hatte die Auswertung von Asservaten für die BAO-Trio unter Führung des BKA zum Gegenstand. Der Zeuge schilderte unter anderem anschaulich, wie in dem digitalen Papierkorb auf dem Computer von A. E. zwei Kartenausschnitte aufgefunden wurden, die den östlichen Teil Nürnbergs zeigen. Der Zeuge erklärte, dass die abgebildeten Gebiete sich ideal als Ausgangspunkt für die Mordtaten in Nürnberg eigneten. Alle Tatorte waren in weniger als 30 Minuten mit dem Fahrrad zu erreichen. Der – dem Zeugen bisher nicht bekannte – Anlaufpunkt Nazi-WG in der Marthastraße stütze diese Theorie nach seiner Ansicht sogar noch.

Der letzte vernommene Polizeibeamte gab an, er sei bei mehreren Vernehmungen der letzten Zeugin des Tages Mandy Struck dabei gewesen. Er selbst sei kein Experte für den Bereich Rechtsextremismus, sondern habe 15 Jahre lang bei der Drogenfahndung gearbeitet und sei jetzt für schwere Körperverletzungen und Totschlagsdelikte zuständig. Die meisten in dem Untersuchungsauftrag genannten Gruppierungen und Personen kenne er bestenfalls vom Hörensagen.

Zuletzt wurde die (ehemalige) Rechtsextremistin Mandy Struck per Video vernommen. Die Zeugin konnte oder wollte sich nur an sehr wenig erinnern. Selbst Personen zu denen Einträge in ihrem eigenen (digitalen) Telefonbuch vorhanden waren, die so auch in dem (digitalen) Telefonbuch von A.E. festgestellt wurden, seien ihr heute nicht mehr in Erinnerung. In ihrem Heimatort Johanngeorgenstadt habe es keine rechte Szene gegeben.

Dabei stammen neben der Zeugin selbst mit A. E. und M. D. zwei weitere Personen aus Johanngeorgenstadt, die das Kerntrio nachweislich kannten und den Terroristen mit verschiedenen Tätigkeiten behilflich waren oder persönliche Daten zur Verfügung stellten. Darüber hinaus stammt eine ganze Reihe von weiteren Personen aus Johanngeorgenstadt, die bundesweit – auch in Bayern –der rechten Szene nachweislich angehören oder dieser zumindest nahestehen.

Struck gab in ihrer Vernehmung an, sie lebe sehr zurückgezogen. Als Aussteigerin aus der rechten Szene wollte sich die Zeugin aber nicht bezeichnen. Es habe sich einfach verlaufen mit den Jahren. Bemerkenswert sind die „Erinnerungslücken“ der Zeugin vor allem vor dem Hintergrund, dass Sie über Jahre hinweg mit mehreren zentralen Personen der rechten Szene liiert war, sich aber heute an Namen anderer Szeneangehöriger und Bekanntschaften untereinander kaum mehr erinnern will.

Im NSU-Komplex ist Struck vor allem deshalb bedeutsam, weil sie dem Kerntrio nach dem Untertauchen die Wohnung ihres damaligen Lebensgefährten Max Florian Burkhardt zur Verfügung stellte. Zudem verwendete Beate Zschäpe jedenfalls teilweise die Identität von Struck als Tarnidentität. Noch bei der Auswertung der Brandruine in der Zwickauer Frühlingsstraße wurden aktuelle Kontaktdaten Strucks in ihrer eigenen Handschrift aufgefunden. Wie diese dort hingelangt sind, ist bis heute ungeklärt. Das Ermittlungsergebnis von BKA und GBA geht von einer ungewollten Übermittlung durch Dritte aus.

Sehr wahrscheinlich wäre Struck in der Lage gewesen, einen guten Überblick über Personen und Kennverhältnisse in der rechten Szene Bayerns, Sachsens, Thüringens und darüber hinaus zu geben. Die Zeugin war nach eigenen Angaben über Jahre hinweg mit mehreren Szenengrößen liiert, besuchte eine Vielzahl von rechtsextremen Demonstrationen und Blood & Honour – Konzerten. Die Zeugin gab zugleich an, dass ihr das Verbot von Blood & Honour bis heute nicht bekannt gewesen sei.

„Dass Ihre Angaben nicht glaubhaft sind, merken Sie selbst, oder?“, konfrontierte der Ausschussvorsitzende Toni Schuberl die Zeugin.

Neben Beziehungen mit dem NPD-Funktionär und Aktivisten der verbotenen Fränkischen Aktionsfront (F.A.F.) Christian. Wilke., dem NSU-Unterstützer Max.-Florian Burkhardt, dem Hammerskin T. G. und den Rechtsextremisten H. W., E. P., T. G. und F. S. war Struck mit dem Rechtsextremisten K. S. in Selb befreundet und wohnte später in Chemnitz mit diesem zusammen. Die Zeugin hielt Briefkontakt zu inhaftierten Rechtsextremisten und war bis zu deren Verbot im Jahre 2011 zahlendes Mitglied der Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige (HNG). Zudem verfasste Struck gemeinsam mit dem verurteilten Totschläger L. einen Artikel, der in dem Fanzine „LANDSER“ veröffentlicht wurde. In diesem beschwört die Zeugin die Einheit all derer, die „reinen Blutes“ sind. In Anlehnung an die F.A.F. versuchte die Zeugin eine Sächsische Aktionsfront aufzubauen, was jedoch scheiterte. Mit M. F., F. Z., G. I. und weiteren Größen der Neo-Nazi-Szene war die Zeugin persönlich bekannt. Einzelheiten wisse sie zu diesen jedoch kaum, sagte die Zeugin vor dem Untersuchungsausschuss. Struck traf regelmäßig Personen, die Kontakte zu „Blood & Honour“ hatten. Zudem verfügte sie über Kontakte zu der Skinheadgruppe „88er“ in Chemnitz. Was Combat 18 sei, wisse sie nicht.

Das Aussageverhalten der Zeugin legt den Verdacht einer strafbaren Falschaussage durch das Weglassen wesentlicher Informationen nahe. Ob es deshalb zu strafrechtlichen Ermittlungen kommen wird, ist derzeit noch unklar.

Die nächste Sitzung des Untersuchungsausschusses findet am Donnerstag, den 23. März 2023 um 14:00 Uhr mit der Vernehmung von. Max-Florian Burkhardt statt. In seiner Wohnung tauchte das Kerntrio im Jahre 1998 erstmals unter.

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